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Bildung
05. April 2019

„Unsere Berufsschulen werden stiefmütterlich behandelt!“

Unternehmen bemängeln technische Ausstattung und nicht ausreichende Vorbereitung auf den digitalen Wandel

Umfrage zur beruflichen Bildung in Stadt und Landkreis Hildesheim

Die Unternehmen in Stadt und Region Hildesheim bemängeln die technische Ausstattung der Berufsschulen und mahnen eine höhere Unterrichtsversorgung an. Sie sehen ihren Nachwuchs nicht ausreichend auf den digitalen Wandel vorbereitet. Das sind  Ergebnisse einer Umfrage von Unternehmer Hildesheim e.V. und dem Industrieverein Alfeld und Region e.V. Rund 120 Betriebe hatten an der Umfrage teilgenommen, die von den beiden Wirtschaftsvereinigungen anlässlich der „Woche der beruflichen Bildung“ in Niedersachsen (1. bis 7. April 2019) durchgeführt wurde.

84 Prozent der hiesigen Unternehmen sehen ihren Nachwuchs „nicht“ (23 Prozent)  oder „nur zum Teil“ (61 Prozent) durch die Berufsschulen auf den digitalen Wandel im Betrieb vorbereitet. Eine bessere technische Ausstattung bemängeln 44 Prozent. 86 Prozent halten eine Verbesserung der digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte für eine wichtige Grundvoraussetzung.

Zwei Drittel der Unternehmen im Landkreis Hildesheim halten außerdem eine Imageverbesserung der Berufsschulen für wichtig. „In der öffentlichen Wahrnehmung tauchen die Berufsschulen kaum bis gar nicht auf. Aktionen der Landesregierung wie die Woche der beruflichen Bildung reichen nicht aus, um der Dualen Ausbildung die erforderliche Aufmerksamkeit zu schenken. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir unsere Berufsschulen stärker in den Fokus nehmen“, sagte Matthias Mehler, Vorsitzender von Unternehmer Hildesheim. „Unsere Berufsschulen in Stadt und Landkreis werden von der Politik stiefmütterlich behandelt. Dabei nehmen sie eine Schlüsselposition ein, wenn es darum geht, dass Mittelstand und Handwerk nicht zum Verlierer der Digitalisierung werden.“ Immerhin sehen 88 Prozent der befragten Unternehmen einen steigenden Bedarf der digitalen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter in den nächsten fünf Jahren. Dagegen beklagen 84 Prozent eine nicht ausreichende Vorbereitung ihrer Auszubildenden auf die Digitalisierung durch die Berufsschule.

Unternehmen sehen Politik gefordert für mehr Technik und Fortbildung

„Es geht nicht um ein Bashing der Berufsschulen. Aber wenn drei Viertel der Unternehmen meinen, die Unterrichtsversorgung sei gerade mal ausreichend oder gar zu niedrig, wenn fast die Hälfte unserer Unternehmen beklagen, ihre Berufsschule hätte eine unzureichende technische Ausstattung, dann stimmt etwas nicht. Auch unsere Berufsschulen müssen das Technik-Tempo mithalten“, so Werner Fricke, Geschäftsstellenleiter von Unternehmer Hildesheim. Der Verband sieht die Politik gefordert. „Unsere Unternehmen plädieren fast einstimmig dafür, die Mittel für Fortbildung der Lehrer aufzustocken, um die digitalen Kompetenzen der Berufsschullehrkräfte zu verbessern.“

Fricke stellte fest, dass der Schwesterverband NiedersachsenMetall seit einigen Jahren einen Rückgang der Bewerber bei der dualen Ausbildung beobachtet. „Die duale Ausbildung kommt zunehmend in eine Schraubstock-Position: Auf der einen Seite sinkt die Zahl der Bewerber demografisch bedingt und auf der anderen Seite gibt es einen Studienhype, ja einen regelrechten Akademisierungswahn.“

Nach der Analyse folgt konkrete Hilfe durch Unternehmer Hildesheim

Unternehmer Hildesheim will nicht nur analysieren, sondern auch konkret vor Ort handeln. „Wir unterstützen deshalb gemeinsam mit NiedersachsenMetall das Schülerlabor Explore in Hildesheim, organisieren Schülerprojekte und laden die hiesigen Schulen zu unserer IdeenExpo nach Hannover ein“, so Fricke.

Kein gutes Zeugnis stellen die Unternehmen den Berufsschulen auch bei der Unterrichtsversorgung aus. Nur ein Viertel erteilt die Note gut,  gut die Hälfte nur ein ausreichend, gar 17 Prozent ein mangelhaft. Anke Hoefer, Vorsitzende des Industrievereins Alfeld, wies auf die gefährliche Entwicklung hin, dass in den nächsten 10 Jahren ein Drittel der Berufsschullehrer in Rente gehe: „Das ist ein Alarmsignal. Viele Städte und Gemeinden im Land drohen zu Verlierer-Regionen zu werden, auch weil die Berufsschulen nicht ausreichend ausgestattet sind. Um die Auszubildenden optimal auf die digitale Arbeitswelt vorbereiten zu können, müssen die Berufsschulen gezielt gefördert werden.“

„Falsche Sparsamkeit wirkt als Beschleuniger des Fachkräftemangels“

Hoefer erinnerte in diesem Zusammenhang an die Mittelkürzung des Landes. „Nicht weniger, sondern mehr Geld für die Berufsschulen sind das Gebot der Stunde. Falsche Sparsamkeit wirkt als Beschleuniger des Fachkräftemangels.“

Die Umfrage hat auch deutlich gemacht, dass die Unternehmen überdies eine nachlassende Ausbildungsreife der Bewerber beobachten. Rund drei Viertel (78 Prozent) sehen Mängel in Stil, Rechtschreibung und Grammatik der Bewerbungen. Kritisiert werden außerdem Qualifikationsdefizite in Mathematik und Naturwissenschaften (96 Prozent) sowie Sozialkompetenzen wie Disziplin, Leistungsbereitschaft und Umgangsformen (95 Prozent). Mehler: „Dieses ist kein neues Phänomen. Die Bildungsexperten unseres Schwesterverbandes NiedersachsenMetall stellen seit Jahren fest, dass trotz aller Anstrengungen von Verbänden, Kammern und Schulinitiativen es bei den Bewerbungsschreiben nach wie vor große Defizite gibt und somit manche Bewerbungen schon vorab durch den Rost fallen.“

Alexander Burstedde vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (iw) bestätigte den Trend der Ergebnisse: „Das Interesse an der beruflichen Bildung geht eindeutig zurück, obwohl wir in Deutschland mehr berufliche Gebildete dringend benötigen. Wir werden aufgrund der Demografie gezwungen sein, die Vorzüge der beruflichen Bildung stärker zu kommunizieren. Dazu zählt auch eine stärkere Attraktivität der Berufsschulen.“

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