Ein willkommenes Lob für harte Arbeit
Mit dem Zertifikat „Demografiefest 4.0. Sozialpartnerschaftlicher Betrieb“ des Landes Niedersachsen werden seit fünf Jahren Unternehmen geehrt, in denen Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung aktiv an der Umstrukturierung arbeiten. Zehn Betriebe erhielten die Auszeichnung nun zum dritten Mal.
Die einen Chefs versuchen es mit Geld. Prämien sollen den Mitarbeitern die Umschulung auf die digitale Produktionsmaschine schmackhaft machen. Andere Chefs setzen dagegen auf flammende Reden, beschwören den Untergang des Unternehmens, wenn die Mitarbeiter sich der Digitalisierung verweigern. Beides klassische, aber nicht besonders nachhaltige Methoden, um die Belegschaft für neue Arbeitsmechanismen zu begeistern, referierte der bekannte Hirnforscher Professor Dr. Dr. Gerhard Roth auf dem DemografieFest 2019.
Um dem demografischen Wandel, der Digitalisierung und der Industrie 4.0 effektiv begegnen zu können, braucht es deshalb eine andere Herangehensweise: „Chefs müssen sich den Mitarbeitern, ihren Belangen und ihren Ängsten widmen und sie auf diese Weise zu überzeugen, dass auch sie vom Wandel profitieren“, sagte Roth. „Das ist zwar mühsam und zeitaufwändig, aber nur so wird man die Mitarbeiter dauerhaft für die Veränderung motivieren.“ Dass immer mehr Unternehmen diesen Weg einschlagen und erfolgreich sind, zeigt seit fünf Jahren das Zertifikat „Demografiefest 4.0. Sozialpartnerschaftlicher Betrieb“ des Landes Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der Demografieagentur für die Wirtschaft. Erst vor kurzem sind wieder 29 Mittelständler im Alten Rathaus von Hannover für ihre kreativen und mitarbeiternahen Konzepte ausgezeichnet worden, zehn von ihnen sogar bereits zum dritten Mal.
Die Identifikation mit Unternehmen und Veränderung dauerhaft fördern
Materielle Belohnungen und häufiges Lob nutzen sich schnell ab, sie erzeugen im Gehirn ein Sättigungsgefühl, ohne wirklich etwas zu ändern, so Professor Roth in seinem Vortrag. Für Andrea Henning, Leiterin des Personalressorts Division C beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG in Lemförde ist die Auszeichnung kein simples Lob: „Hinter dieser Re-Zertifizierung steckt harte Arbeit. Denn nur, wer die zuvor gesteckten Zwischenziele erreicht, kann auf eine erneute Plakette hoffen.“ Dies ist der ZF nun schon zum zweiten Mal gelungen. Gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden Jürgen Bunge hatte Henning das dritte Zertifikat seit 2015 von Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann entgegengenommen. Auch die Unternehmen Minebea Intec Bovenden und Toyoda Gosei Meteor konnten sich über eine erneute Re-Zertifizierung freuen.
„Die Frage der Demografie wird für den Mittelstand existenziell sein“, betonte Althusmann in seinem Grußwort. In den kommenden 20 Jahren werden neusten Statistiken zufolge rund 600.000 Menschen in Niedersachsen in den Ruhestand gehen. „Und mit ihnen wird nicht nur die Zahl der Mitarbeiter schrumpfen, auch viel Fachwissen wird verloren gehen, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird“, machte der Wirtschaftsminister deutlich. Doch die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmengestaltet sich oft schwierig. Lutz Stratmann, Geschäftsführer der Demografieagentur: „Bislang geht es uns in Deutschland wirtschaftlich sehr gut. Das führt aber dazu, dass viele Arbeitnehmer sich fragen, warum es notwendig ist, bestehende Prozesse zu verändern, wenn sie doch bislang erfolgreich waren.“
Der Erfahrungsschatz im Unternehmen wird oft unterschätzt
Bei Arconic Fastening Systems aus Hildesheim haben Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung bereits begriffen, was auf sie zukommt. „Wir spüren den Nachhaltigkeitsdruck bereits“, kommentierte Geschäftsführer Jens Harde. Daher habe man Veränderungsprozesse angestoßen, die man nun entwickeln will. Zum Beispiel den sogenannten „Wissensbaum“, bei dem ältere Mitarbeiter ihr Wissen an jüngere Kollegen weitergeben. „Zu Anfang haben viele Mitarbeiter gesagt, besonders üppig sei ihr Erfahrungsschatz nicht. Doch schnell hat sich herausgestellt, wie viel Wissen sie eigentlich besitzen und wie schwierig es ist, das weiterzugeben“, erläuterte der Betriebsratsvorsitzende Christoph Kemper. Als Zeichen dafür, dass Arconic damit auf dem richtigen Weg ist, wurde das Unternehmen jetzt zum ersten Mal ausgezeichnet.
Eine Voraussetzung für die Zertifizierung ist, dass Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung an einem Strang ziehen. Für die ausgezeichneten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. „Uns ist wichtig, dass die Mitarbeiter an Veränderungen ihres Arbeitsumfelds aktiv mitwirken können“, betonte Henning, die neben ihrer Eigenschaft als Personalchefin bei ZF auch Vorstandsvorsitzende der Bezirksgruppe Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim ist. Deshalb sei die Partnerschaft mit der Arbeitnehmervertretung so wichtig. „Wenn wir unsere Mitarbeiter überzeugen wollen, Veränderungen mitzugehen, dann müssen wir uns gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen.“